EU vor der Zerreißprobe – Schulz warnt vor „Europa-Feinde“
Die EU stehe inzwischen vor einer Zerreißprobe. EU-Parlamentspräsident Schulz warnt vor den wachsenden Kräften der „Europa-Feinde“. Die Ländergemeinschaft brauche mehr Handlungsfreiheiten und Reformen.
„Europafeindliche Bewegungen“ dürfen nicht unterschätzt werden
Überblick
„Links und Rechts sind Europa-Feinde“
Die EU laufe Gefahr zu implodieren. Innerhalb der Europäischen Union mehrten sich die „europafeindlichen Bewegungen“, so die Warnung des Präsidenten des Europaparlaments Martin Schulz in der F.A.Z. (Dienstagsausgabe). Die Gefahren der Anti-Europastimmung in den Mitgliedsländern dürfe nicht unterschätzt werden.
Europa befinde sich seit einiger Zeit auf einer „abschüssigen Bahn“. Viele Menschen haben ihr Vertrauen in die Institution insgesamt verloren, „egal ob national oder europäisch“, so Schulz. Sollten die Briten die EU verlassen, so werde es Forderungen nach weiteren Volksabstimmungen über den Verbleib in der EU geben.
Der Parlamentspräsident sieht die „Europafeinde“ noch in der Minderheit, kann aber nicht ausschließen, dass die Rechts- und Linkspopulisten in weiteren Mitgliedsländern an die Macht kommen. Die schweigende Mehrheit sitze jedoch dem Trugschluss auf, dass es doch noch zu einem guten Ende kommen werde. Darauf könne man sich allerdings nicht verlassen. Das zeige bereits der Ausgang des Referendums in Holland über das Assoziationsabkommen mit der Ukraine.
Die Staats- und Regierungschefs seien für den Vertrauensverlust in der EU-Bevölkerung mitverantwortlich. Es mangelte bei den Regierungschefs an der Kampfbereitschaft, „das Herz der Menschen zu erreichen“, so Schulz zur F.A.Z.. Die Regierenden müssten den einfachen Antworten, die die „Feinde Europas“ anböten, ein klares Bekenntnis zur EU entgegensetzen. Dazu benötige es klare Botschaften und den Mut, in Zeiten der Polarisierung deutlich dagegen zu halten.
Die EU muss handlungsfähiger werden und dazu brauchen die europäischen Institutionen Reformen. „Die EU ist als Instrument zur Lösung von Problemen geschaffen worden, aber viele Menschen haben den Eindruck, sie ist eher Teil des Problems denn der Lösung“, so Schulz.
Begriffsverwechslungen oder nur begriffsstutzig?
Auch der EU-Parlamentspräsident ist offenkundig nicht in der Lage, bzw. Willens, einen Unterschied zwischen Europäischer Union (EU) und Europa zu sehen. Zu den europäischen Ländern, die nicht Mitglied der EU sind, gehören: Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Island, Kasachstan, Kosovo, Liechtenstein, Mazedonien, Moldawien, Monaco, Montenegro, Norwegen, Russland, San Marino, Schweiz, Serbien, Türkei, Türkische Republik Nordzypern, Ukraine, Vatikanstadt und Weißrussland. 24 Nicht-EU-Länder gegenüber 28 EU-Mitgliedsländer, jedoch Teile Europas. Zählt man noch die Besitztümer Dänemarks und UK (Färöer, Guernsey, Isle of Man und Jersey) mit dazu, kommt es zum Gleichstand.
Wer sind also die „Feinde Europas“?
Welche EU-Werte gilt es denn zu verteidigen?
Im Vertrag über die EU, in der Fassung des Lissabonner Vertrags, sind die „EU-Werte“ in Artikel 2 definiert:
„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“
Wie es um die Zusicherung der Demokratie innerhalb der EU steht, zeigen die Reaktion der EU-Politiker auf den Ausgang des Referendums in Holland. Kaum sprechen sich EU-„Bürger“ gegen einen Plan Brüssels aus, sind Rufe nach einer dringenden Abschaffung von Volksabstimmungen zu vernehmen, mit der Begründung, die Menschen seien gar nicht in der Lage, zu komplexen Fragen die richtigen Antworten zu geben. Es handelte sich ohnehin nur um „Protest-Abstimmungen“.
Ziele der „Wertegemeinschaft EU“ sind u.a. im Artikel 3 zu finden:
„Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“
Aus den USA diktierte Sanktionen gegen Russland, hoffnungslose Verarmung der griechischen Bevölkerung und die sehr flexible Anwendung der nach außen vorgetragenen Werte stehen jedoch im krassen Widerspruch.
Die EU ist kein Staat, sondern wie Schulz es mehrfach feststellte, eine „Institution“ und u.a. wie folgt definiert: „Jegliche Form bewusst gestalteter oder ungeplant entstandener stabiler, dauerhafter Muster menschlicher Beziehungen, die in einer Gesellschaft erzwungen oder durch die allseits als legitim geltenden Ordnungsvorstellungen getragen und tatsächlich ‚gelebt‘ werden“.
Der EU-Parlamentspräsident vergaß zu erwähnen, dass ein Großteil der EU-Gegner die Institution nicht als ein „Teil des Problems“, sondern als das Problem an sich betrachten. Kritiker und Gegner der EU als „Feinde Europas“ zu bezeichnen, ist aus der Position des EU-Politikers sogar nachvollziehbar.
Mit der Gründung der EU im Jahr 1993 in Maastricht wurde der Einstiegspunkt einer steil abfallenden Rampe betreten, es kann nur abwärts gehen. Nur sechs Jahre später kam für die zu langsam abgleitenden EU-Mitgliedsländer das Schmiermittel hinzu. Der Euro, zuerst 1999 als Buchgeld und 2002 auch als Bargeld.