Ergo Skandale: Die Nötigung durch moralischen Zeigefinger

Ergo & Sex-Skandale-


Die Ergo Versicherungsgruppe hat am Sonntag eine Internetseite online gestellt, auf der unter der Überschrift „Fehlverhalten“ die von den Medien angeprangerten Mitarbeiterverfehlungen aufgelistet wurden. Offensichtlich ist die Veröffentlichung der vermeintlichen „Schuldeingeständnisse“ das Ergebnis von wochenlangen hausinternen Regergen, ausgelöst durch noch längere zermürbende Medienberichte.

Moral Belehrungen
Moralische Belehrungen
durch die Medien

Bild: Gerd Altmann / pixelio.de

Offensichtlich haben die Medien über die Monate hinweg ganze Arbeit geleistet. Die Ergo-Versicherungsgruppe geriet wiederholt und sehr ausgiebig in die Schlagzeilen der Massenmedien, da, wie u.a. von Ergo auch zugegeben, einige Mitarbeiter ihre Leistungsboni eigenmächtig mit dem horizontalen Gewerbe erweiterten.

Im Vordergrund stand eine im Jahr 2007 von der damaligen Tochter Hamburg Mannheimer (HMI) organisierte Party in Budapest, bei denen für die eingeladenen Vertriebsmitarbeiter 20 Prostituierte engagiert worden waren. Ergo hatte diesen Vorfall bereits bestätigt und öffentlich verurteilt.

Die weiteren als „nachgewiesene Fehlverhalten“ veröffentlichten Vorfälle sind ausnahmslos die Unternehmungen der Mitarbeiter in eigener Faust. Wenn die Reiseleitung sich dazu bereit erklärte, die eine oder andere Rechnung zu bezahlen, dann liegt das im Verantwortungsbereich des Unternehmens, kann aber dennoch nicht für den gern „angeprangerten moralischen Aspekt“ in Verbindung gebracht werden.

Im Grunde kann in der von Ergo aufgestellten „Schamliste“ keine Besonderheit festgestellt werden, die nicht auch während den internationalen Messen vorkämen, bei denen die Mitarbeiter und Repräsentanten von ihren Unternehmen in alle Welt entsendet werden. Warum sollte das Personal vom Mittelstand und der Großindustrie schlechtere Laune mit bringen als ausgerechnet die als „langweilig geltenden“ Versicherungsvertreter?

Wenn bei zentralen Ereignissen u.a. Mercedes, BMW, VW und Audi vertreten sind, fällt es im Bereich des Motorsports besonders schwer sich vorzustellen, dass die abendlichen Unterhaltungen bei grünen Tee und Mürbeteig-Gebäck abgehalten werden.

„Wer ohne Sünde ist, erhebe als erstes den moralischen Zeigefinger“

Blicken wir doch einfach mal in die unmittelbare Nachbarschaft, nach Elsass. Einmal im Monat findet in Straßburg das große Treffen von rund 800 Abgeordneten im EU-Parlament statt. Es ist längst kein offenes Geheimnis mehr, dass während dieser Tage die Prostitution eine Hochkonjunktur erfährt. Diese Tatsache wurde längst auf europäischer Ebene diskutiert und angeprangert. Politikerkreise formten bereits das Wort „Strapsburg“.

Damit die Welt auch erfährt, was in Straßburg von den europäischen Volksvertretern während der Tageslichtzeiten beschlossen wird, folgen Heerscharen von Journalisten und Berichterstattern. Sie alle haben nach dem finalen Absenden ihres Abschlußberichts an die Redaktion nichts anderes zu tun, als lediglich Abend zu essen, um darauf durch Fernsehen im Hotelzimmer die Nachtruhe einzuleiten?

Das Thema käuflicher Sex in Straßburg und deren Stosszeiten während der einwöchigen Parlamentssitzungen sorgte bereits für eine Menge Wirbel. Den moralischen Zeigefinger hoben die politischen Vertreter aus unterschiedlichen Ländern und sie wollten dafür Sorge tragen, dass Abgeordnete ihre Nachtlager nur noch in Hotels aufspannen könnten, in denen Prostituierte keinen Zugang hätten.

Die „unabhängige und überparteiliche“ Journalisten-Zunft steht „natürlich“ als Zaungast außen vor, sofern sie überhaupt etwas von diesem offenbar allnächtlichen Treiben mitbekommt. Würden die Redaktionen doch mindestens einmal im Monat über ihre Medien auf diesen verwerflichen Missstand hinweisen.

Wo bleiben hier die moralischen Bedenken?
EU-Abgeordnete bewegten sich bei der Inanspruchnahme einer solchen Dienstleistung auf sehr dünnem Eis. Auch die Bezahlung per privater Mittel würde den eigentlich erforderlichen Nachweis, dass es sich nicht um Zwangsprostitution handelte, nicht wett machen können. Der Kampf gegen Verschleppungen und Prostitution wider Willen steht beim EU-Parlament auf den obersten Stellen der „Todo-Liste“. Der einst vom dänischen Abgeordneten Riis Jörgensen initiierte „Beschwerde-Brief“ gegen die zweifelhaften Zustände versickerte jedoch sehr schnell im Sande. Letztendlich überwog die Angst der Abgeordneten ihren „guten Ruf zu verlieren“, statt einen weiteren Schritt gegen das nächtliche Gewerbe zu unternehmen.

Es wäre natürlich nur zu billig, alle Abgeordnete und Journalisten über einen Kamm zu scheren. Ebenso billig wäre es, für die Verfehlungen der EU-Abgeordneten seine Wähler haften zu lassen. Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Hauptbeteiligten offensichtlich für einen 1-wöchigen Boom im horizontalen Gewerbe sorgen.

Dennoch lassen die sog. Qualitätsmedien nicht locker, auch aus der von Ergo am Sonntag veröffentlichten Aufstellung der „Fehlverhalten“ einen moralischen Profit zu schlagen. Der Financial Times (FTD) (Montagsausgabe) schreibt vom „reinwaschen eines Schmuddelimages“ nach „Lustreisen und Drogenpartys“, nachdem in der Vergangenheit die Vorkommnisse bei den Ergo-Mitarbeitern als „Ergo Sexstrudel“ und „Sex-Skandal“ beschrieben wurden.

Der selbst entworfene Pranger wird noch weiter geschmückt, nachdem der “ konstruierte Sünder“ Reue zeigt.

Ein moralischer Aspekt ist stets streitbar, in sehr vielen Bereichen eine Frage der Ansichten und Kulturen. Sich aber über die möglichen Kosten der „ausgelassenen Lebensfreude“ zu brüskieren, kann nur sehr schwer nachvollzogen werden. Aus der gleichen Logik stünde es Ergo zu, sich darüber zu beschweren, dass die Printmedien die bezahlten Werbekosten in Teilbereichen für Journalisten-Gehälter verwendeten, die sich dafür einmal in der Woche in Straßburg vergnügten.

Die Auflistung der „Fehlverhalten“ von Ergo Versicherungsgruppe

Anstatt sich von den Medien erklären zu lassen, was als moralisch gilt und was als verwerflich, sollte man die Gelegenheit nutzen, das zu hinterleuchten, was im Augenblick noch in der Welt abläuft. Besonders das Thema um Sexskandale ist hervorragend geeignet, um die Tagesgespräche vom Wesentlichen abzulenken. Denn als Einwohner Europas kann es derzeit sehr leicht passieren, nach dem Aufwachen vor einer bitteren Überraschung zu stehen, noch bevor das Thema Ergo in den Tiefschlaf gefallen ist.

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