Bosbach: „These vom sinkenden Rentenniveau ist absolut falsch“

Rentendebatte-


Gerd Bosbach sieht in den täglichen Rentendiskussionen eine offenbar bewusste Irreführung der Bevölkerung. Mit „gebetsmühlenartigen“ Wiederholungen zu den Gefahren aus der Demografie, der Anzahl der Rentner und sinkenden Beitragszahlern, paart sich die Ignoranz der Politiker zu den im letzten Jahrhundert für den Wohlstandsanstieg verwendeten Produktivitätsfortschritt.

Rentendiskussionen
Verfälschte Renten Tatsachen?
Bild: Wilhelmine Wulff / pixelio.de

Prof. Dr. Gerd Bosbach ist ein Statistikexperte, der seine Popularität nicht durch besonders kreativ aufbereitete Präsentationen von Zahlen erreichte, sondern dadurch dass er quasi den umgekehrten Weg eingegangen ist. Bosbach nimmt sich bestehende Auswertungen „zur Brust“ und zerlegt, ja zerrupft diese in seine Bestandteile und erstellt auf Basis der identischen Datenvorlagen eine neue Aufstellung, die auf „wundersame“ Weise völlig andere Eindrücke vermittelt.

Das Sammeln von Zahlen ist mühselige Kleinarbeit, diese aber so darzustellen, dass sie den gewünschten Effekt versprechen, ist eine Kunst. Bosbach versteht diese Kunst der Statistiker und weiß wie am besten die Wahrheit hinter den Kulissen zu erkennen ist.

Politik und Rentendiskussionen – Ein Spielfeld für Statistiker
Die Dauerdebatten um die Altersversorgung, das sinkende Rentenniveau und die Alterung der Bevölkerung sind ein Musterbeispiel für die durchaus mächtigen Werkzeuge der Statistiken. Gerd Bosbach hat in einem Beitrag im dradio.de (Deutschlandfunk / DRadio Wissen, Dienstag) die Methoden der bewussten Verschleierung in den Rentendebatten aufgegriffen und auch „zerpflückt“.

„Mit nackten Bevölkerungszahlen für die nächsten 50 Jahre wird Angst gemacht“, folgerte Bosbach. Man leite hiervon ein abfallendes Rentenniveau ab und daraus werde die Notwendigkeit der Privatrente gefolgert. Dennoch hätte die „ständige Demografie-Leier“ einen Rechenfehler, so der Professor für Mathematik uns Statistik.

So sieht es Gerd Bosbach als völlig natürlich an, wenn jeder „weiß“, dass das Rentenniveau sinken muss, wenn die Anzahl der Rentner wächst. Dennoch stellt er sich die Frage, warum diese These fast täglich neu betont wird. „Möchte man uns damit die Zuschussrente, Solidarrente oder wie immer die Brosamen auch heißen mögen als große Leistung sozial denkender Politiker verkaufen? Oder will man uns mit der ständig wiederholten Demografie-Leier vom eigenständigen Denken abhalten?“, so Gerd Bosbach.

„Eigenständiges Denken“ – Bosbachs Sicht zu den Rentendebatten

Eigentlich hätte die Rente im letzten Jahrhundert stark vermindert werden müssen, wenn die These stimmte, dass eine anwachsende Rentnerzahl eine Absenkung des Rentenniveaus erzwinge, so Bosbach.

Zwischen den Jahren 1900 und 2000 hat sich der Anteil der Rentner von unter 5 Prozent auf über 17 Prozent mehr als verdreifacht. „Nach der heutigen Denkweise ein Albtraum“, so der Mathematiker und fügte hinzu, „zusätzlich hat sich der Jugendanteil mehr als halbiert. Und die Rente?“

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In den letzten 100 Jahren wäre die Rente von „fast gar nichts“ auf einen recht durchschnittlichen Standard im Jahr 2000 angewachsen, ganz ohne Entbehrungen bei den Arbeitnehmern. Deren Wohlstand ist gleichzeitig enorm mit angewachsen, so Bosbach, „so massiv, dass wir Statistiker das gar nicht in Zahlen ausdrücken können“. Darüber hinaus war es sogar möglich, die notwendigen Arbeitszeiten drastisch zu reduzieren.

Gerd Bosbach folgerte daraus:
„Im letzten Jahrhundert war also die heute ständig geäußerte These vom sinkenden Rentenniveau bei wachsender Zahl Älterer absolut falsch.“

Ausblendungen wichtiger Fakten

Der Mathematiker betonte die Ursache der positiven Entwicklungen, den Produktivitätsfortschritt. Dieser Punkt werde heute allerdings bei beinahe sämtlichen Überlegungen zu Demografie und Rente ausgeklammert, so Bosbach, „stattdessen wird mit nackten Bevölkerungszahlen für die nächsten 50 Jahre Angst gemacht“.

Auf angeblich wissenschaftlichem Wege würde daraus ein absinkendes Rentenniveau hergeleitet werden und daraus die Notwendigkeit einer Privatrente begründet, wie es etwa beim „Riestern“ der Fall wäre, erklärte der Mathematik Professor.

Einfach nur selber nachrechnen

Es müsse einfach nur selber nachgerechnet werden, so Bosbach und leitete ab: Würde in den nächsten 50 Jahren der Produktivitätsfortschritt durchschnittlich nur um 1% voranschreiten, eine sehr pessimistische Prognose, so würden im Jahr 2060 pro geleisteter Arbeitsstunde zwei Drittel mehr hergestellt werden als heute.

Ein Arbeitnehmer wäre in der Lage, seinen Anteil für die gesetzliche Rente auf 20% zu verdoppeln und hätte dennoch beinahe 50% mehr in der Tasche, folgerte Bosbach.

Selbst wenn der Arbeitnehmer-Anteil einen „absurden Wert von 30%“ annehmen würde, blieben ihm noch 28% mehr in der eigenen Tasche, rechnete der Mathematiker und fügte hinzu, „dazu käme dann noch der Arbeitgeberanteil, so dass die prognostizierte höhere Rentnerzahl sogar noch gut am Fortschritt teilnehmen könnte.“

Warum ignoriert die Politik diesen Faktor?

Diese Rechnung setzte voraus, dass der Produktivitätsfortschritt anteilig auch an die Arbeitenden ausbezahlt werden müsste. Denn „nur so könnte das Geld auch bei den Sozialversicherungen landen. Und das ist der Knackpunkt. Eine Teilnahme der Löhne am Produktivitätsfortschritt wird bewusst nicht mitgedacht.“

Für den Statistiker Bosbach wäre es aus diesem Grund „kein Wunder“, dass überwiegend die Älteren Einbußen bei Renten und Löhnen hinnehmen müssen. Dies jedoch wäre kein „naturgegebenes Demografie-Gesetz, sondern eine gewollte Umverteilung zu Gunsten der Unternehmer, die den Gewinn des technischen Fortschritts komplett alleine einheimsen. Und darüber soll wohl nicht gesprochen werden. Deshalb die ständige Demografie-Leier„.

Wer dies nicht glauben wolle, so Bosbach, solle seinen Taschenrechner zücken und einfach nachrechnen. Ein Blick zurück würde ebenfalls manche Zweifel ausräumen. Im letzten Jahrhundert hätte es eine wahre Leistungsexplosion gegeben, als der Produktionsfortschritt zu einem großen Teil noch ausbezahlt wurde. Der Wohlstand der Arbeitnehmer wäre gewachsen. Die um Faktor 3 angewachsene Zahl von Rentnern wurde sogar immer besser versorgt und dennoch wäre die Arbeitszeit für die Arbeitnehmer gesunken.

Bosbach sieht daraus eine einfach Lehre: „Die Produktivität schlägt die Demografie“
Das würde jedoch nur gelten, wenn die Umverteilung nicht die Löhne der Arbeitnehmer beschneidet. „Schade, dass die Rentenkürzer der meisten Parteien dieses Wissen völlig ignorieren“, schließt Bosbach seine Sicht zur Rentendebatte ab.


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